Anti-Muslimischer Rassismus – Reflexion über Hanau

Der rechtsextremistische und von Verschwörungstheorien beeinflusste Terroranschlag am 19.Februar 2020 in Hanau liegt wenige Monate zurück, scheint aber kaum einen Nachhall in Gesellschaft, Politik und Medien hinterlassen zu haben. Die Diskussion um den Fall, bei dem zehn Menschen ermordet wurden, ist in Deutschland von der Berichterstattung über den Virus COVID-19 erstickt. Der Angriff fand auf eine Shisha Bar statt. Einem Raum, der häufig als Schutzraum für nicht-weiße Menschen mit Migrationsgeschichte dient. Die Shisha Bar als ein von der Mehrheitsgesellschaft stigmatisierter Ort, ist ein bewusstes Ziel der vorsätzlichen Tat gewesen. Der Umgang mit Shisha Bars zeigt, wie diese oft grundsätzlich gesellschaftlich, medial und politisch kriminalisiert und in diesem Zusammenhang ‘orientalisiert’ werden.

Wie der Literaturtheoretiker Edward Said skizziert, fungiert die Produktion des ‘Orients’ und den dazugehörig nach selektiven Assoziationen markierten Menschen, als Gegenbild für Projektionen. Durch diese Produktion werden Orte und Menschen zum ‘Anderen’ gemacht, die ein kulturelles Gegenüber darstellen sollen, von dem sich abgegrenzt wird. 

Der Anschlag in Hanau könnte von solchen Imaginationen der Entgegensetzung beeinflusst sein, die gesellschaftlich seit Jahrzehnten aktualisiert werden, um immer wieder Ausgrenzungen von Menschen zu rechtfertigen, die auf rassistischen Einbildungen beruhen. 

In der Podcast-Folge “Gedanken zu Hanau” von Feuer & Brot verweist Alice Hasters auf die Fremdbeschreibung der ‘Gastarbeiter*innen’ und auf die Folgegenerationen der Immigrierten, die auf bestimmte Weise be- bzw. gezeichnet werden. So seien im Fall Hanau, die Menschen von einer Mischung aus Rassismus und Klassismus betroffen. Dabei wird das Bild der sogenannten ‘Deutschen‘ gegen die vermeintlich ‘Anderen‘ erneut sichtbar, welches strukturprägend in Deutschland ist. 

Das Schirmphänomen des Rassismus taktiert in seiner Verwobenheit mit Klassismus und Sexismus, um ihre ideologische Ungleichwertigkeit zu begründen, indem Menschen auf Grundlage von Kategorien wie Herkunft oder Geschlecht eingeordnet werden. Bestimmte Merkmale wie das Aussehen werden herausgepickt, um stereotypische Bilder herzustellen und zu bedienen. Privilegierte Gruppen der Gesellschaft begreifen sich als etabliert und versuchen Menschen zu Außenseiter*innen, zu ‘Randgruppen’ zu machen und dabei Bilder des ‘Fremden’ aufrecht zu erhalten. Deutlich wird eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, die sich besonders gegen Menschen richtet, welche als nicht-weiß sowie nicht-europäisch definiert werden. Eine Ausprägung hierbei ist die des antimuslimischen Rassismus. Dieser antimuslimische Rassismus hat beim Täter in Hanau eine Rolle gespielt und hängt ebenso mit Vorstellungen des ‘Orientalischen’ sowie zugeschriebenen Merkmalen zusammen, die oberflächlich in der Shisha Bar gesehen wurden. 

Im Gedankensalat Podcast wird in der Folge zum antimuslimischen Rassismus darüber gesprochen, dass oftmals aufgrund von Zuschreibungen angenommen wird, dass Menschen muslimisch sind, obwohl sie es nicht sind. Oder muslimischen Menschen werden aufgrund ihrer Religiosität Fähigkeiten abgesprochen. Ein großer Teil der deutschen Bevölkerung empfindet den Islam als Bedrohung, dabei fehlt die Auseinandersetzung mit muslimischen Lebensweisen und hat im Zusammenhang mit Rassismus nichts mit religionskritischer Haltung zu tun. Der Youtube Kanal Karakaya Talk greift diese Problematiken auf, zeigt Perspektiven von Menschen, die kein Gehör finden oder in der öffentlichen Debatte unterrepräsentiert sind. Denn die Stimmen von Hijabis, die wegen ihres Kopftuches diskriminiert werden, oder von queeren Muslim*innen,  welche einem vielfachen Druck ausgesetzt sind, sind vorhanden, müssen sich jedoch ihren Platz in der Öffentlichkeit erkämpfen. 

Die Mehrdimensionalität von Rassismen ist zu berücksichtigen, weil diese dazu führen, dass zum Beispiel weiße Muslim*innen anders von Rassismus betroffen sind als Schwarze Menschen, Rom*nja und Sinti*zze oder Menschen die weitere Formen der Diskriminierung erfahren. Bei den Opfern des Anschlags in Hanau handelt es sich um junge Personen mit verschiedenen Hintergründen und Geschichten, die hier aufgewachsen sind und gelebt haben. 

Wir gedenken Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Said Nessar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun und Fatih Saraçoğlu, die vor fünf Monaten beim rassistischen Anschlag in Hanau getötet wurden.  

Viele BIPoC_Podcaster*innen greifen die Effekte des Anschlags auf, da sie versuchen die Geschehnisse zu verarbeiten und keine politischen Konsequenzen sehen. Die Lücke in der Medienlandschaft motiviert verschiedene Podcaster*innen mit Migrationsgeschichte, und/oder muslimischen Background, ihre Teilhabe an gesellschaftlichen Diskursen erkennbar zu machen. Sie sprechen über Selbstbezeichnungen und fluide Identitäten in einer Welt, die klare Kategorien fordert und die Sprachkultur in Deutschland prägt. Sprache spielt bei den meisten hier empfohlenen Podcasts eine tragende Rolle hinsichtlich des Austausches über soziokulturelle Kontexte und dem sozialen Aufstieg durch Akademisierung. Eine Schnittstelle sind Fragen nach transgenerationalen Traumata/Konflikten, Möglichkeiten des Empowerments und der Selbstverortung. In jedem Fall eine Sache der Repräsentation von BIPoC und das Recht auf die Wahrnehmung sowie Positionierung in der deutschen Öffentlichkeit.

Im Folgenden ein paar Empfehlungen:

Gedankensalat PODCAST
Einzelfolge: Antimuslimischer Rassismus (EP 6, 18.03.2019)

Feuer & Brot PODCAST
Einzelfolge: Gedanken zu Hanau (EP 55, 21.03.2020) 

Cosmo Machiavelli – Rap und Politik PODCAST
Einzelfolge: Hanau (EP 43, 11.03.2020) 

Realitäter*innen PODCAST
Einzelfolge: Warum Rassismus in Deutschland uns alle betrifft w/ Ferda & Mouctar (EP 5, 26.03.2020)

Dattel & Chill PODCAST
Einzelfolge: Role Model – Musliminnen in der Medienlandschaft (EP 4, 13.03.2020)

Dauernörgler PODCAST
Einzelfolge: #Männerwelten – Toxische Männlichkeit in der muslimischen Community (EP 15, 17.05.2020)

Ein Gastbeitrag von Sarah Mohsenyan.